Graumanns Taschen – Buch oder Redouté, Napoleon und der Frühling in Berlin

Mon Dieu que tout le monde est gentil
Mon Dieu quel sourire à la vie
Mon Dieu merci
Mon Dieu merci d’être ici
Charles Trenet, „Revoir Paris“

the Roses, Pierre-Joseph Redouté, Taschen-Verlag, 1999, printed in Italy

„Das ist ja peinlich, so für ein Buch zu schwärmen“, sagte Graumanns Bekannte kürzlich im Vertrauen, als sie zur Teatime unerwartet bei ihm aufkreuzte. Ihre neuste Eroberung nach dem „Far out“, Martin, hatte sie am Vortag zum Tee in seine Anderthalb-Zimmer-Dachterassenwohnung in Steglitz eingeladen und dabei das „relativ billige“ Taschen-Buch hergezeigt, das „allerdings gar kein Taschenbuch ist sondern vom Taschen-Verlag und relativ groß und relativ gut gebunden“. Zufällig hat Graumann das auch. Er blättert immer darin, wenn er niedergeschlagen ist. Und weil Martin so viel redete, hat sie Martin „auf Anhieb verachtet“. Demnach hielt sie also Martins relativ großen Enthusiasmus bei diesem und anderen Büchern sofort für reines Blendwerk. Graumann weiß manchmal nicht, was Frauen einem mit solchen Erzählungen sagen wollen, oder wie die Frage lautet, die da im Subtext lauert. Gut, er steht nicht auf Frauen, aber das ist seinem Dafürhalten nach nicht der Grund, warum er diese Geschichten nicht versteht.

Der Mann, der Graumanns Bekannten sicherlich imponieren wollte, hat ihr also dieses großformatige Buch „The Roses, Pierre Joseph Redouté“ gezeigt, hat darin herumgeblättert und ist schier übergschnappt, dass er seiner Flamme diese zauberhafte Abbildung der „Rosier de frêne a fleurs Panachées“ zeigen durfte. Das war für ihn ganz wichtig. Graumann vermutet, seine Bekannte hat neutral getan, er hat sie nicht gefragt. Vielleicht wollte sie ja seine Meinung wissen, ob er Martin für schwul hält, weil er für Bücher mit Abbildungen von Rosen aus dem Garten von Napoleons Josephine schwärmt. Und wenn sie Graumann gefragt hätte, wäre seine klare Antwort gewesen: „Du spinnst wohl.“

Rotgehölz im englischen Garten, Foto: AQ! 2010
Aber sie hat nicht gefragt. Und Graumann hätte ihr auch noch gesagt, dass der Mann vermutlich schüchtern und in sie verliebt ist, und dass frau einen solchen indirekten zärtlichen Antrag nicht wegklicken sollte, wie ein lästiges Popup. Wenn dann der Groschen bei ihr immer noch nicht gefallen wäre, hätte er gedroht, sich mal mit Martin zum Tee zu verabreden. Das wirkt immer. Mein Gott, wie kompliziert das heutzutage alles ist. Es ist Frühling, aber keinem fällt hier ein Frühlingslied ein.

Menschenleere Krüppelbaumallee im französischen Garten, Foto: AQ!, 2010

Graumann hatte im Schlosspark Spaziergänger und Joggerinnen interviewt, ob jemand eins kann. Ein Hamburger Rentnerehepaar konnte: Mörikes Frühlingsgedicht  – „Frühling lässt sein blaues Band…“.  Sie haben es zwar für Uhland gehalten, aber immerhin, sie konnten es zusammen auswendig. Mein Gott, und sie waren so verliebt, als sie das zusammen aufsagten. Ein österreichisches Paar fing vor Graumanns Mikro sofort an zu singen: „Der Mai ist gekommen die Bäume schlagen aus“ und „Es tönen die Lieder, der Frühling kehrt wieder..“ fast hätten sie zusammen im Kanon gesungen. Dieser Romeo war schätzungsweise zehn bis fünfzehn Jährchen älter als seine Julia .

Frühling im Park und alle joggen hier in Funktionskleidung stumpfsinnig, um fit zu bleiben, ohne sich rechts und link und oben und unten zu vergegenwärtigen, diese ganz andere, wenngleich immer noch miserable Luft. Fragst du im Park eine ureinwohnende, berollschuhte Mama, die ihren dreirädrigen Buggy vor sich herschiebt nach einem Frühlingslied, kriegst du nur ein patziges, keuchendes „Wat? Nö, keene Ahnung.“ Was singt sie ihrem Kinde vor? Julimond? Wäre ja auch gut. Hauptsache sie singt überhaupt was vor. Keiner bleibt hier mal stehen und hält einen Moment lang inne.

Graumanns Vorderhaus-Nachbar unten im ersten Stock säuft sich wieder ins Koma und brüllt dabei zum Sportfernsehkanal. Schade, dass es kein Testbild mehr gibt. Es sollte auf allen Bändern und Kanälen von 00:00 bis 00:00 Uhr gesendet werden. Graumann findet das Dorf zu Füßen des Hohenzollern-Schlosses immer häufiger zum Kotzen. Und daran kann nicht der Frühling Schuld sein. Liegt es an Graumann?